Das Vestibularsyndrom beim Hund: Symptome, Ursachen & Therapie
Dein Hund schwankt plötzlich, seine Augen bewegen sich viel zu schnell und vielleicht muss er sich sogar übergeben – ein solcher Zustand ist wohl ein Albtraum für jeden Hundebesitzer! Hast du schon einmal vom Vestibularsyndrom bei Hunden gehört? Oder hat dein Hund plötzlich die typischen Symptome gezeigt und du dachtest, er hätte einen Schlaganfall?
Tierärztin Dr. Julia Vietmeier erklärt dir, was sich hinter dem Begriff “Vestibularsyndrom” verbirgt, wie es dazu kommen kann und gibt Tipps, wie mit einer solchen Situation am besten umzugehen ist.
Was ist das Vestibularsyndrom beim Hund?
Das Vestibularsyndrom ist ein Überbegriff für Störungen im Bereich des Gleichgewichtsorgans (Vestibularsystem). Unter diesem Namen werden verschiedene Formen der Erkrankung zusammengefasst.
Das Gleichgewichtsorgan des Hundes setzt sich aus zwei Anteilen zusammen:
- dem peripheren Anteil, das Labyrinth im Innenohr und der 8. Gehirnnerv umfassend, sowie
- der zentrale Anteil, mit Teilen des Hirnstammes und des Kleinhirns, der das Gleichgewicht im Hundekörper aufrechterhält und die Kopf- und Augenbewegungen koordiniert.
Tierärztin Dr. Julia Vietmeier:
“Ein Vestibularsyndrom kann meistens schnell anhand der typischen Symptome und einer klinischen Untersuchung diagnostiziert werden. Wichtig ist dann, mit Hilfe weiterer Untersuchungen die Ursache für diese Störung herauszufinden.”
Grundsätzlich unterscheidet man zwischen einem peripheren und einem zentralen Vestibularsyndrom. Beim zentralen Vestibularsyndrom kann zusätzlich zu den nachfolgend genannten Symptomen zudem das Bewusstsein des Vierbeiners getrübt sein sowie die Korrekturreaktionen beim Hund vermindert sein oder sogar ausfallen.
Hinweis: Korrekturreaktionen sind neurologische Tests bei Hunden und werden vom Tierarzt im Zuge der neurologischen Untersuchung durchgeführt. Hierbei wird eine Pfote des Hundes in Beugestellung gebracht und so auf dem Boden platziert. Ein gesunder Hund korrigiert diese Fußstellung sofort.
Die Diagnose „Geriatrisches Vestibularsyndrom“ wird durch ein Ausschlussverfahren gestellt. Das Hundealter und die Symptome können einen Verdacht erhärten. Dieser wird anschließend durch das Ausschließen anderer Ursachen bestätigt. Zu Anfang werden die Symptome von vielen Tierbesitzern oft mit einem Schlaganfall oder einem Krampfanfall verwechselt.
Vestibularsyndrom bei Hunden: Die Symptome
Die Symptome der Störungen sind in den meisten Fällen identisch – häufig zu finden sind bei Hunden und Katzen folgende Anzeichen:
- Kopfschiefhaltung: die betroffene Seite ist nach unten gerichtet
- Vestibuläre Ataxie: torkelnder Gang, Koordinations- und Gleichgewichtsstörungen, breitbeiniges Gehen und Stehen; unter Umständen kommt es sogar zum völligen Verlust des Geh- und Stehvermögens
- Augenzittern (Nystagmus): schnelle, rhythmische Augenbewegungen (waagerecht, rotierende oder senkrecht wechselnde Augenpositionen)
- Schielen (Strabismus) auf einem Auge
- Unruhe und Desorientiertheit
- Schwindel
- Übelkeit, häufig mit Erbrechen, oft verursacht durch den Drehschwindel
- erweiterte Pupille, eingesunkener Augapfel und hängendes Augenlid (deuten auf das Horner-Syndrom hin)
- halbseitige Gesichtslähmung mit hängendem Unterlid und hängender Lefze (deutet auf Fazialisparese hin, welche unbedingt behandelt werden sollte, da die Hornhaut auszutrocknen droht!)
Hunden mit einem Vestibularsyndrom ist oft schwindelig. Sie müssen sich häufig übergeben und nehmen kaum Futter zu sich. Wenn dein Hund nicht frisst, sollte er Medikamente gegen die Übelkeit bekommen. Dies hilft häufig, den Appetit wiederherzustellen.
Insgesamt treten die Symptome meistens sehr schnell und heftig auf. Kein Wunder, dass die meisten betroffenen Hundebesitzer bei diesem Anblick ihres Lieblings Angst bekommen und stark verunsichert sind!
Tierärztin Dr. Julia Vietmeier:
“Diese Symptome sind sehr eindrücklich: Wer so etwas bei seinem Hund beobachtet, bekommt schnell den Verdacht, dass es sich um ein Vestibularsyndrom handelt. In so einem Fall solltest du deine Fellnase in eurer Tierarztpraxis vorstellen. Hier wird dann nach den Ursachen geforscht und die passende Therapie eingeleitet.”
Ursachen des Vestibularsyndroms
Die Ursachen für ein Vestibularsyndrom können vielfältig sein. Eine komplette neurologische Untersuchung und eine Untersuchung des Innenohrs sind bei der Suche nach dem Auslöser am wichtigsten. Besonders bei weiteren Schwierigkeiten deines Tieres sind oft Untersuchungen wie ein CT oder MRT sinnvoll. Laut Studienlage kann bei der Hälfte der Erkrankungen des Vestibularapparates eine behandelbare Grunderkrankung gefunden werden, wie etwa:
- eine Ohrenentzündung (Otitis media/interna)
- eine andere Grunderkrankung, z. B. Schilddrüsenunterfunktion oder Infektionen wie Staupe
- ein Trauma / Unfall, durch welches eine Verletzung der umliegenden Strukturen und des Gesichtsnervs (Fazialisparese) verursacht wurde
- Tumore
- Blutungen (zentrales Vestibularsyndrom im Sinne eines Schlaganfalls)
- verschiedene Medikamente, die in das Ohr eingebracht werden (z. B. einige Antibiotika)
- angeborene Störungen oder Fehlbildungen, die bei verschiedenen Hunderassen beschrieben werden, z. B. Dobermann, Deutscher Schäferhund oder Beagle
Ein Vestibularsyndrom kann auch ohne sichtbare Ursache vorliegen; bei dem geriatrischen Vestibularsyndrom ist dies der Fall. Hierbei wird vermutet, dass der Lymphfluss gestört ist. In der Regel sind ältere Hunde davon betroffen.
Das Vestibularsyndrom bei Hunden behandeln: Die Therapie
Die Therapie eines Vestibularsyndroms richtet sich immer nach der Ursache. Die Diagnostik steht also zunächst im Vordergrund. Ist die Ursache gefunden, folgt die entsprechende Therapie. Das kann eine Infusionstherapie zur Stabilisierung des Kreislaufes sein oder etwa auch die gezielte Therapie einer Ohrenentzündung. Häufig werden die Beschwerden der Krankheit auch zunächst symptomatisch therapiert mit passenden Medikamenten.
Dr. Julia Vietmeier:
“Die schiefe Kopfhaltung deines Hundes kann leider nicht gezielt mit Medikamenten therapiert werden, aber eine physiotherapeutische oder chiropraktische Begleitung ist hier sinnvoll.”
Medikamente beim Vestibularsyndrom
Je nach Ursache werden in der Tierarztpraxis passende Medikamente verschrieben, besonders
- durchblutungsfördernde Medikamente (Propentophyllin),
- Medikamente gegen Übelkeit (Antiemetika) und
- Infusionstherapien zur Stabilisierung des Kreislaufes.
- Bei starkem Schwindel kann ein Beruhigungsmittel (Diazepam) helfen.
Zur Linderung einzelner Symptome, wie etwa der Übelkeit, kann Homöopathie unterstützen. Lass die Globuli am besten von einem Fachmann auswählen, individuell angepasst an das Krankheitsgeschehen und deinen Vierbeiner.
Hausmittel, die beim Hunde-Vestibularsyndrom helfen können
Um die Beschwerden deines Vierbeiners zu lindern, kannst du auf verschiedene Hausmittel zurückgreifen – Julias 6 Tipps für dich:
1. Vitamin-B-Komplex kann die Funktion der Nervenzellen unterstützen
2. Antioxidantien und essenzielle Fettsäuren (z.B. in Lachsöl) wirken entzündungshemmend und fördern die Regeneration
3. Ginko fördert die Durchblutung
4. Teppiche auf glatten Böden können deinem Hund das Gehen erleichtern, denn durch die Gleichgewichtsstörungen rutscht dein Liebling schnell weg und könnte fallen. So minderst du die Gefahr eines gefährlichen Sturzes.
5. Ein orthopädisches Hundebett, welches weich gepolstert ist, hilft deinem Hund, sich wohlzufühlen und bietet ihm dank rutschhemmender Unterseite und erhöhter Polsterung Sicherheit beim Aufstehen.
6. Ein Hundegeschirr (mit Griff) kann deine Fellnase beim Laufen unterstützen und ihre Koordinationsstörungen etwas ausgleichen.
Hilfsmittel für deinen Hund mit Vestibularsyndrom
FAQ: Häufige Fragen zum Vestibularsyndrom bei Hunden
Rund um die Erkrankung bestehen viele Unsicherheiten, weiß Julia aus ihrer Praxis. Hier gibt sie Antworten auf die wichtigsten Fragen:
Übungen für Hunde mit Vestibularsyndrom – welche helfen?
Ein geschulter Hundephysiotherapeut kann mit gezielten Übungen versuchen, die Gleichgewichtsstörungen und andere Symptome zu lindern. Abgeleitet aus der Humanmedizin gibt es hier verschiedene Ansätze, z. B. das modifizierte Epley-Manöver: Dieses bietet sich v. a. beim peripheren Vestibularsyndrom an. Ziel ist es, die Otolithen (mikroskopisch kleine Körnchen, die die Wahrnehmung von Beschleunigung und Schwerkraft ermöglichen) in Bewegung zu versetzen und neu zu positionieren.
Zudem können bestimmte Kopf- und Augenbewegungen zur Rehabilitation des vestibulären Systems trainiert werden. Übungen zur Körper- und Raumwahrnehmung unter Zuhilfenahme der Schwerkraft können ebenfalls den Therapieerfolg beeinflussen. Wende dich hierzu an deinen Tierarzt oder einen Tierphysiotherapeuten.
Sollte man einen Hund mit Vestibularsyndrom einschläfern?
Viele Hundehalter fragen sich, ob sie ihren Hund einschläfern müssen, wenn sie die Diagnose vom Tierarzt erhalten haben und ob das Vestibularsyndrom tödlich verlaufen kann. Dies hängt jedoch von der Ursache der Problematik ab.
Beim vergleichsweise häufig vorkommenden geriatrischen Vestibularsyndrom älterer Hunde besteht eine gute Prognose und die Symptome verringern sich meist innerhalb weniger Tage.
Kann die Ursache nicht therapiert werden, kann gemeinsam mit dem behandelnden Tierarzt beraten werden, ob der Hund erlöst werden sollte – denn Schwindel, Übelkeit und Koordinationsstörungen können kaum eine gute Lebensqualität bieten.
Kann es beim Vestibularsyndrom zu einer Verschlechterung kommen?
Auch hier hängt es von der Ursache der Erkrankung und deren Therapiemöglichkeit ab, ob sich eine Verschlechterung einstellen kann.
Könnte mein Hund mit Vestibularsyndrom einen Rückfall erleiden?
Ein Rückfall kommt in der Regel nicht häufig vor, ist aber möglich. Bei einem wiederholten Vestibularsyndrom ist die Therapie die gleiche. Es könnte sich dann jedoch anbieten, noch einmal verstärkt nach möglichen Ursachen zu suchen.
Was kann ich tun, wenn beim Vestibularsyndrom keine Besserung eintritt?
Wenn trotz intensiver Behandlung keine Besserung eintritt, liegt eventuell eine schwerwiegende Ursache für das Vestibularsyndrom vor. Hier sollten dann weitere Untersuchungen erfolgen (meist in einer Tierklinik), um die Ursache zu finden.
Wie lange leidet ein Hund unter dem Vestibularsyndrom?
Die Dauer der Erkrankung richtet sich nach der Ursache. Das geriatrische (oder auch idiopathisch genannte) Vestibularsyndrom, welches eher bei älteren Hunden auftritt, hat meistens keine erkennbare Ursache. Hier tritt häufig innerhalb von drei Tagen eine erste Besserung ein.
Eine leichte Kopfschiefhaltung bleibt bei vielen Hunden dauerhaft bestehen und es braucht manchmal Wochen bis Monate bis der Hund wieder ganz der Alte ist. Medikamente, Hausmittel und Physiotherapie sind hier unterstützend sehr hilfreich.
Fazit: Das Auftreten eines Vestibularsyndroms bei unseren Fellnasen geht mit erschreckenden Symptomen einher und viele Besitzer sind zunächst sehr verunsichert. Doch keine Panik! Wende dich an deine Tierärztin oder deinen Tierarzt – sie können der Ursache auf die Spur kommen und die Symptome durch passende Medikamente
lindern. Bei einem geriatrischen Vestibularsyndrom ist die Prognose relativ gut und du darfst auf schnelle Besserung hoffen.
Hast du schon Erfahrungen mit dieser Krankheit gemacht? Konnte sich dein Hund davon erholen? Erzähle uns davon!
Tierärztin Dr. Julia Vietmeier
ist promovierte Fachtierärztin und setzt in ihrer Praxis auf Chiropraktik und Akupunktur.
Sie legt großen Wert auf die ganzheitliche Behandlung ihrer vierbeinigen Patienten.